Wort der Woche

Auch hat sie einen schönen guldenen Rock angehabt, scheuzlich ausgesehen, und eine Krone mit viel Farben aufgehabt und als ihr bedünkt, nicht auf dem Erdreich, sondern emporschweben…

         Geständnisse der Hexe Katharina Moserin, Südtirol 1506 

Wir können das unlängst zu Ende gegangene Wave-Gotik -Festival in Leipzig nicht davonziehen lassen, ohne der unangemeldeten Demonstration der Verzweiflung, dem stummen Trauermarsch, der Parade trüber Mienen Erwähnung zu tun, der sich am Morgen danach in Richtung Haupbahnhof schleppt. Menschen, die ein Wochenende ausgelassen schwarz sein durften, haben ihre Ringe, Ketten und Gewänder wieder in ihre Koffer gepackt und reisen zurück an ihre öden Großraumbildschirmarbeitsplätze und Schalterverschläge, kurz in die Zone, die wir Wirklichkeit nennen. Wenige Feste nur erzeugen bei den Teilnehmer einen solchen Horror vor der Rückkehr ins normale Leben. Hier ist eine Erklärung aus der Sicht kritischer Bekleidungsphilosophie.

Moderne Gesellschaften wie die Bundesrepublik belästigen ihre Insassen mit einer Mischung aus aufdringlicher Pathosarmut (moderne Führungsfiguren wie Müntefering oder die Kanzlerin selbst berauschen sich quasi an ihrer Nüchternheit, lassen keine Krise auf sich zukommen, ohne die absonderlichen Beschwörungsritualien der „Sachbezogenheit“ aufzuführen: Aktentasche auspacken, Tagesordnung vorlegen, etc. Im Politschamanismus unserer Tage glaubt man, dass sich die Geister von „Lösungen“ und „Konsens“ verflüchtigen, wenn man mal ausflippt. Aber dazu ein andermal mehr. ) und einem strengem Individualisierungsdruck. Kein Individuum zu sein, ist in der Bundesrepublik beinahe meldepflichtig. Sich als bloßes Teil eines Projekts zu fühlen, dass größer ist als eine Hornbach-Badezimmer-Renovierung, gilt als Faschismus. Angemessenen Ausdruck soll diese Individualität  in der passenden Bekleidung finden. Das aber ist aber aus zwei Gründen leider nicht möglich. Erstens müsste man dazu wissen, wer man ist, um zu wissen, was so einer wie man selbst am besten trägt. An dieser Aufgabe („Erkenne dich selbst!“) scheiterten aber schon die antiken Philosophen, was bei Diogenes dazu führte, dass er sich frustriert entschloss, nackicht zu bleiben. Zweitens verhindert die moderne Bekleidung an sich einen respektablen Ausdruck von was auch immer. Die moderne Bekleidung ist auf den schlanken, beweglichen, jungen Menschen in seiner flüchtigen, dünnen Leibesmitte nicht nur zugeschnitten, sondern geradezu vereidigt. Ihre Vielfalt ist nur vorgetäuscht. Die Jacken, Hosen, Hemden haben alle ein gemeinsam: Erwachsene Körperformen und Verhaltensrepetoires wirken in dieser Kleidung lächerlich. Das Wechselspiel von stramm und labberig in Jeans und T-Shirt produziert selbst an Körpern Wülste, die nackt noch halbwegs speckfrei wirken. Rollis und Strickjacken, das ganze nur an den Armen selige, armselige Zeugs der sogenannten Bewegungsfreiheit staucht und wellt sich an Stellen, die kein Mensch mit einem Gefühl für Würde absichtlich betont haben will. Viele Menschen verstehen nicht, dass diese Kleidung ihnen keine Chance läßt. Sie versuchen statt dessen, sich einen Körper auszuschwitzen oder abzuhungern, an dem diese Sachen wieder gut aussehen. Ein Versuch, der schon deshalb zum Scheitern verurteilt ist, weil es eben gar nicht darum geht, schlank zu sein, sondern jung. Sorry, man kann nicht wieder schlaksig werden. Die Art und Weise, wie sich ein Teenager in ein Sofa fallen läßt, kriegt man ab 40 auch mit dem weltbesten Bewegungstherapeuten nicht wieder hin. Der Grund, liebe Gewicht-Beobachter und Stehgeher in den Fitnessbuden, ist simpel. Das Bindegewebe, die Sehnen altern mit der Präzision einer Atomuhr- gedehnt oder ungedehnt. Das Bewegungsprofil wird schmaler, mit Feldenkrais oder ohne. Hinzu kommt die moderne Kleidung präsentiert nur Körper, keine Persönlichkeiten. Es ist Bekleidung, die den Gedanken, dass ein Körper auch Repräsentant von Geschichte, von mit Begeisterung aufgegessener Geschichte und gehabten Restauranteinladungen ist, gar nicht erst zulässt.

Anders im Gothic-Style. Hier erleben wir das alljährliche Pfingstwunder der Verwandlung von depressiven fettleibigen Verkäuferinnen in wunderbar korpulente Reifrockmatrönchen. Im Wortsinne arschlose und unterwürfig eingesunkene Sachbearbeiter bekommen im Frockcoat wieder eine Taille und einen Auftritt geschenkt. Das ist kein Geheimwissen. Machtbewusste Naturen wie Karl Lagerfeld oder Wiglaf Droste (ansonsten nur schwer zu vergleichen, da sie beide vom Ernährungsstil her eigentlich verschiedenen Tierarten zuzuordnen sind) gehen schon länger in Rüschenhemd und Frack unter die Leute. Der Zulauf zum Wave Gotik Festival in Leipzig erklärt sich also nur zu einem Teil aus Sympathy for the devil, sondern vor allem aus Antipathie gegen die tägliche Verarsche im zeitgenössischen Textileinzelshandel. Das zeigt auch der bedeutende Anteil von über 40jährigen in der schwarzen Szene, was zumindest der Intuition widerspricht, dass man mit zunehmender Grabesnähe keinen echten Spaß mehr am Herumkokettieren mit der dem Leben abgewandte Seite hat. Diese Menschen wollen einfach nur mal ein Wochenende passend angezogen sein.