Wort der Woche

Ist Geld aber gar nicht vorhanden, muss entweder der Konsum eingeschränkt oder das Leben entsprechend verkürzt werden.

             Volker Looman, Finanzcoach

 

Zur Kritik der Automatiktür

Der Kapitalismus verhüllt seinen Antlitz gern hinter einer Maske technischer Servilität, deren eindrucksvollstes Symbol die Automatiktür ist. Alltäglich schreitet Seine Durchleucht, der Kundenkarteninhaber, wohlgemut auf das selbsttätig öffnende Kaufhausportal zu. Nur eine Halbsekunde des Zögerns, in dem der Konsument sich bang fragt, ob er sein naives Vertrauen in den Bewegungssensor mit einem Aufprall auf die Glasfront bezahlen wird, dann springt der Mechanismus endlich klackend und summend an und die Seiten der Schiebetür ziehen fauchend auseinander.

Rein prozess-technisch imitiert die Automatiktür also keinen routiniert zuvorkommenden Hotelportier im besten Alter sondern einen drogenbedingt zerstreuten Zivi, der seiner Pflicht eher zu spät und zu hastig nachkommt, wenn die Gefahr schon stark im Verzug ist.

Was dieser Atavismus in einer Welt bedeuten soll, in der Marschflugkörper mit zehnfacher Schallgeschwindigkeit zielerfassungsmässig quasi aus der Hüfte abgeschossen werden können, werde ich im Folgenden versuchen zu erklären.

Was gar nicht so leicht ist: Der Kapitalismus versucht ja immer, einem die Analyse seiner Absichten mit dem Hinweis auf die chaotische Zufälligkeit des Marktgeschehens auszureden. Hey, Automatiktüren öffnen sich halt so, Alter! Was soll schon dabei sein? Ist aber nicht so.

Die abgefeimt abbremsende Geschwindigkeit der Automatiktüren soll den Käufer mit Schuldkomplexen bedampfen. Der selbstbewusste Übergang in die Konsumwelt wird bewegungspsychologisch in Frage gestellt. Warum so hastig? Schnell mal gezielt was kaufen statt durch die endlos Sortimente zu schlendern – gehört sich denn das? Und beim Verlassen des Kaufhauses quält sich die Automatiktür gleich noch mal so betont langsam auf. Ja, hättest Du mehr gekauft und trügest jetzt schwer an Deinen prallen Taschen, wären wir wohl synchron, mein Lieber!

Ein weiteres Indiz ist die ungewöhnliche Präsenz der Automatiktür im utopischen Film. (Unter Gesichtspunkten der atmosphärischen Abdichtung in Raumschiffen sind Schiebetüren jeder anderen Türform hoffnungslos unterlegen, von einfacheren konstruktiven Erwägungen wie Raumersparnis in knapp bemessenen Hightech-Kapseln wollen wir hier gar nicht reden. Es müssen also andere Gründe für ihre ikonografische Omnipräsenz in der kulturellen Phantasie vorliegen.)

Ungefähr ein Zehntel der Handlung in den frühen Folgen der Serie „Raumschiff Enterprise“ verbringen Captain Kirk und die Seinen beim Warten auf das Öffnen und dem Durchsteigen von automatischen Schiebetüren. In „Star Wars“ werden die Rebellen dauernd von imperialen Truppen vor irgendwelchen sich nicht rechtzeitig öffnenden Automatiktüren dumm und krumm gelasert. Ich will hier nicht mittelständischen deutschen Klinkenherstellern das Wort reden, aber etliche aufrechte Gefährten von Prinzessin Leia und Luc Skywalker könnten noch leben, wenn man in der düsteren Zukunft auf diesen bewährten und handlichen Türschließmechanismus gesetzt hätte! Möglicherweise will George Lucas aber genau das anprangern! Ich kenne ihn leider nicht gut genug.

Höhepunkt der Zumutung von selbsttätig öffnenden Schiebetüren ist aber ihre Verwendung in städtischen WC-Boxen, die nach 20 Minuten von selbst entriegeln und aufgehen, um den elenden Drückeberger der breiten Öffentlichkeit präsentieren. Hier wird der Mensch in seiner ganzen körperlichen Unwillkürlichkeit entblößt und als unpassend denunziert. Die Botschaft der Automatiktür ist eine unheimliche und sie lautet: Du bist nicht im Limit.

 

Musik für diesen Text: Die nie wieder so gut kreischenden Puhdys mit ihrem solitär genialen Frühwerk „Türen öffnen sich zur Stadt“ (späte Aufnahme mit viel Schlagzeugs)



Ansonsten gilt nach wie vor: Bei Rot bleibe stehen!

 

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