Wort der Woche

Bei den meisten Spezies wird überschüssige Energie in Fett umgesetzt, nicht in Kreativität.

Geoffrey F. Miller, Evolutionspsychologe

Es gibt insgesamt wenig Rechtfertigungen für ein langes Leben, es sei denn man hat eine Arbeit angefangen und muss mit ihr fertig werden wie der Shakespeare-Übersetzer Rudolf Schaller aus Schwerin (eingehend gewürdigt durch Friederike von Schwerin, die heisst echt so, ist kein Fehler in der Matrix!), dem die Idee, Shakespeare in modernes und angemessen saftiges Deutsch zu übersetzen, leider erst mit Mitte Sechzig kam und der deswegen verzeihlicherweise über Neunzig werden musste.

Normalerweise aber -das hat Klaus Theweleit an irgendeiner Stelle im „Buch der Könige“ gut herausgestellt – hat das Bemühen um ein langes Leben einen nicht sehr netten Wettbewerbscharakter und deutet darauf hin, dass man bloß scharf drauf ist, an den Gräbern der anderen vorbeizutattern. Es ist eine bloß ins Biografische übertragene Form des „Ich kann länger als Du!“

Aber wie kann man erkennen, dass jemand sich einer nur unterdurchschnittlichen Lebendauer erfreuen wird und deswegen von den Assekuranzkassen besser behandelt werden sollte die als ganzen „Wer hat denn diese eklige Hühnerkralle hier auf den Nachtisch gelegt? Ach, das ist ja ihr liebes Händchen, Oma Backe!“- Untoten und Erbscheinverweigerer in den Pflegebatterien. Fantasielos und drög wie Versicherungsmathematiker nun mal sind, wird am Anfang immer der Stimulanzienmissbraucher auf den Tisch gezerrt, weil angeblich Kettenraucher und Spiegeltrinker die ersten sind, an denen der Sensenmann die Klinge prüft. Das mag sein. Aber der Dauergebrauch von Nervengiften ist ein Unterschichtenhobby und die einzige Lebensversicherung, die die Tippelbrüder von vor der Kaufhalle besitzen, ist ein zerfledderter Plan der städtischen Frostschutzquartiere im Winter. Hier ist nicht viel zu verdienen und das Geld liegt hier sozusagen nicht auf der Straße.

Stattdessen sollten profitorientierte Kurzlebensversicherer auf Leute mit Baumarktkundenkarten oder -meistenteils ostdeutsche – Selbermacher achten. Die Statistik sagt uns, dass mehr Leute bei Unglücken im Haushalt wie dem beliebten Gardinenaufhängen sterben als bei Verkehrsunfällen. Trotzdem weigern sich Gardinenhersteller bis heute Aufdrucke auf die Stores zu kleben alá „Gardinenaufhängen kann zu langem Siechtum oder einem kurzen, schmerzvollen Tod führen!“ oder „Hängen Sie keine Gardinen auf, wenn sich Schwangere in der Nähe befinden!“ Warum ist aber das eigene Heim nun so ein tödlicher Ort? Das hat einerseits damit zu tun, dass an der passiven Sicherheit von Leitern mit weniger Biss geforscht wird als an der passiven Sicherheit von Autos, andererseits aber auch damit, dass gerade ältere Männer persönliche Erinnerung mit persönlicher Kontinuität verwechseln. Weniger hochschulabsolventenmässig ausgedrückt: Die Tatsache, dass man sich erinnern kann, einmal mit Anfang Dreissig vom Dach auf die Leiter gezehenspitzt zu sein, ist nicht gleichbedeutend damit, dass man es mit Anfang Sechzig noch kann.

Dieser „Kann ich noch locker!“ – Indikator für versicherungsrelevante Frühsterber findet sich auch im Bereich der Paarung. Während erwartungsfreier Stullensex in einer Langzeitbeziehung das Schlaganfallrisiko senkt und die Gefäße weitstellt, also eher als förderlich zu betrachten ist, steigt das Risiko, beim ausgearteten Kaffeekränzchen mit der seit kurzem alleinstehenden Roswitha vom Kegelklub für immer zu gehen bevor man gekommen ist, enorm. 75 % aller Herztode beim Sex erfordern äußerst unangenehme Telefonanrufe der Sorte „Du Hilde! Dein Günther liegt hier nackt bei mir auf dem Glastisch und antwortet nicht, wenn man ihn was fragt!“. Einem Versicherer, dem es also gelingen könnte, per „argloser“ Befragung die hochverräterischen Einzelpackungsbesteller von Viagra von den Dauerschluckern zu unterscheiden, könnte hier statistisch und gewinnrelevante Abgangsquoten in die Versicherungsmathematik einfließen lassen.

Mit diesen verfeinerten Prognosen – und ich rede hier nicht einmal davon, dass die Lebenserwartung sowieso in entscheidenstem Maße davon abhängt, dass man sich die richtigen Eltern sucht – könnte ordentlich Verzinsungsdruck von Versicherungsanlagen genommen werden und neue Finanzkrisen verhindert werden. Toll, nicht?